Frieden durch Krieg?
Eine Klausur im 12. / 13. Jg.

Anders als zunächst der Senat sprach sich Cicero nach Caesars Ermordung in der Auseinandersetzung mit Marcus Antonius bald kategorisch gegen Friedensverhand-lungen aus. In einer Rede Mitte Jan. d. J. 43 v. Chr. erläuterte er seinen Standpunkt:

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Cur igitur pacem nolo? Quia turpis est, quia periculosa, quia esse non potest. Quae tria dum explico, peto a

vobis, patres conscripti, ut eadem benignitate, qua soletis, mea verba audiatis.

Warum also will ich keinen Frieden? Weil er schändlich ist, weil er gefährlich ist, weil er nicht sein kann. Während ich diese drei Dinge erläutere, bitte ich euch, Senatoren, dass ihr (da) mit dem gleichen Wohlwollen, mit dem ihr es gewohnt seid, meine Worte anhört.

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Quid est inconstantia, levitate, mobilitate cum singulis hominibus, tum vero universo senatui turpius?

Was ist, wenn schon für einzelne Menschen, dann ganz besonders aber für den gesamten Senat schändlicher als Inkonsequenz, Leichtsinn, Wankelmut?

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Quid porro inconstantius <est> quam, quem modo hostem
[...] iudicaritis, cum hoc subito pacem velle coniungi? [...]

Was ist nun aber inkonsequenter als zu wollen, dass mit diesem, den ihr gerade eben (noch) zum Staatsfeind erklärt habt, plötzlich Frieden geschlossen wird.

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Nec ego pacem nolo, sed pacis nomine bellum involutum reformido.Quare, si pace frui volumus, bellum gerendum
est; si bellum omittimus, pace numquam fruemur.

Auch ich will Frieden, aber fürchte, dass im Begriff des Friedens der Krieg versteckt ist. Deswegen muss Krieg geführt werden, wenn wir Frieden genießen wollen; wenn wir den Krieg umgehen (vermeiden), werden wir den Frieden niemals genießen.

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Est autem vestri consilii, patres conscripti, in posterum
quam longissime providere. Idcirco in hac custodia et tamquam specula conlocati sumus, uti vacuum metu
populum Romanum nostra vigilia et prospicientia
redderemus. [...]

Es ist aber die Aufgabe eurer Ratsversammlung, Senatoren, möglichst weit in die Zukunft zu blicken. Wir sind deshalb auf diesen Posten gestellt und gleichsam auf die Lauer gelegt worden, damit wir das römische Volk durch unsere Fürsorge und Vorsorge von Angst befreien.

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Omnia videbitis, patres conscripti, nisi prospicitis,
plena odiorum, plena discordiarum, ex quibus oriuntur
bella civilia. Nolite igitur id velle, quod fieri non potest,
et cavete [...], ne spe praesentis pacis perpetuam pacem amittatis. [...]

Ihr werdet alles, Senatoren, wenn ihr keine Vorsorge trefft, voll von Hassgedanken, voll von Zwistigkeiten sehen, woraus Bürgerkriege entstehen. Wollt also nicht das, was nicht geschehen kann, und nehmt euch in Acht […], damit ihr nicht den dauerhaften Frieden durch die Hoffnung auf den jetzigen Frieden verliert. […]

 

Aufgaben:
1. Übersetzen Sie den Text angemessen ins Deutsche. (Schülerlösung s.o.)


2. Gliedern Sie den Textauszug -> Schülerlösungen


3. Zitieren Sie aus dem Textauszug drei unterschiedliche Stilmittel und erläutern Sie ihre
Wirkungsabsicht. -> Schülerlösung

4. Definieren Sie Ciceros Friedensbegriff. -> Schülerlösungen

 

 
Schülerlösungen zur Aufgabe 2 (Gliedern Sie den Textauszug.):

1. Lösung:
Der Textauszug aus einer Rede Ciceros kann in sieben Abschnitte gegliedert werden.Der erste Abschnitt beginnt in der ersten Zeile bei „Cur“ und endet in Zeile 2 bei „potest“. In diesem Abschnitt sagt Cicero, warum er keinen Frieden möchte. Deshalb gebe ich dem Abschnitt den Titel: „Warum Cicero keinen Frieden will“.
Der nächste Abschnitt „Bitten um Aufmerksamkeit des Senates„ beginnt bei „Quae“ (Z. 2) und erstreckt sich bis Zeile 4.
Die eigentliche Rede mit Inhalt beginnt nach dieser Stelle. Sie trennt also den Anfang, in dem Cicero (evtl. unverständlicher Weise) behauptet, keinen Frieden zu wollen, mit der Erklärung dieser Haltung.
Im nächsten Abschnitt „Vorwurf an den Senat“, wirft Cicero dem Senat mit rhetorischen Fragen indirekt vor, falsch bzw. schändlich zu handeln. Dieser Abschnitt endet bei „coniungi?“ in Zeile 8.
„Cicero will Frieden, aber nicht auf diese Weise“ heißt der nächste Sinnabschnitt, der sich bis „fruemur“ in Zeile 11 erstreckt. Hier sagt Cicero, dass er zwar Frieden möchte, aber dass man dafür kämpfen müsse.
Im nächsten Abschnitt, Zeile 12 – 16, erinnert Cicero den Senat an seine Pflichten. Diesen Abschnitt nenne ich deshalb: „Cicero benennt die Aufgaben des Senats“.
Im nächsten Abschnitt Zeile 17 bis „civilia“ Z. 19 zeigt Cicero dem Senat, welche Konsequenzen es habe, wenn er Frieden mit Antonius schließen würde. Dieser Abschnitt heißt deshalb „Konsequenzen, wenn der Senat nicht das tut, was Cicero für das Richtige hält“.
Im letzten Abschnitt, der den Rest des Textauszuges umfasst, fordert Cicero den Senat auf, zu tun, was notwendig sei. Er bekommt daher den Titel „Aufforderung an den Senat“.

 

 

2. Lösung:
Der vorliegende Textauszug lässt sich grob in sechs Abschnitte gliedern.
Im ersten abschnitt (Z.1f.) sagt Cicero in zwei kurzen Sätze, warum er gegen den Frieden, bzw. die Friedensverhandlungen mit Antonius ist. Durch die Kürze und Prägnanz der Aussage lässt es sich als eine Art Kernaussage oder Thema seiner Rede bezeichnen.
Der folgende Abschnitt (Z. 2-4) enthält eine Aufforderung an die Senatoren zuzuhören.
Anschließen wird in Abschnitt drei (Z. 5-8) der Senat kritisiert, indem seine Bemühungen um einem Friedensschluss mit Antonius als leichtsinnig und inkonsequent dargestellt werden, dies lässt sich als thematischer Einstieg oder auch als Angriff / Kritik bezeichnen.
Der vierte Abschnitt (Z. 9-11) bezieht sich direkt auf den ersten und stellt eine nähere Erläuterung von Ciceros eigener Meinung dar, dass der Frieden deshalb zur Zeit nicht möglich, bzw. gut wäre, weil der Krieg dadurch nur versteckt würde und nicht verhindert werden könne. Diese Erklärung lässt sich allerdings (bes. durch den Anfang in Zeile 9) genauso gut als Relativierung seiner drastischen Anfangsaussage auffassen, dass er keinen Frieden wünsche.
Der vorletzte Abschnitt erstreckt sich über die Zielen 12-16 und stellt die Aufgaben des Senates dar. Es wird bes. hervorgehoben, dass dem Volk die Angst genommen und für es gesorgt werden müsse, wobei auf langfristige Sicht geplant werden solle.
Die letzten fünf Zeilen (Abschnitt 6, Z. 17-21) stellen einen Bezug zum vorherigen Abschnitt her, indem ein Negativbeispiel für die Erfüllung der Senatspflichten gebracht wird, verbunden mit der Aufforderung, so zu entscheiden, dass die befürchteten Folgen (Hass, Uneinigkeit, Bürgerkrieg) nicht eintreten.
Es stellt die Ablehnung des Friedensschlusses mit Antonius gewissermaßen als Fazit des voranstehenden drohenden Ausblicks an den Schluss dieser Ausführungen.

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Schülerlösung zur Aufgabe 3
(Zitieren Sie aus dem Textauszug drei unterschiedliche Stilmittel und erläutern Sie ihre Wirkungsabsicht.):

In Zeile 1 und 2 (Qua turpis … non potest.) werden Ciceros Gründe, warum er gegen den Friedensschluss ist, als Aufzählung hintereinander gestellt. In diesem Trikolon lassen sich gleichzeitig ein Asyndeton (durch die Unverbundenheit der Ausdrücke), eine Anapher (Quia …, quia…, quia …) und ein weitgehender Parallelismus feststellen.
Durch den Wiederholungscharakter der Anapher soll dem Zuhörer suggeriert werden, dass sich diese Aufzählung von Gründen noch endlos weiter fortführen ließe, und lässt sie damit länger wirken, als sie eigentlich ist. Dieser Effekt wird vom parallelen Aufbau noch verstärkt, der allerdings im dritten Glied des Trikolons nicht fortgesetzt ist, da dort der Frieden durch ein Verb, statt durch ein Adjektiv näher beschrieben wird. „non esse“ macht den Gedanken noch einfacher und damit radikaler.
Auch in Zeile 5 findet sich ein Trikolon in Form eines Asyndetons, … die drei Begriffe inconstantia, levitas, mobilitas. Sie beschreiben alle eine negative Eigenschaft des Senates, der sich auf die Friedensverhandlungen mit Antonius einlasse; sie betonen allerdings jeweils unterschiedliche Aspekte. Zum eine wird die Inkonsequenz betont, ein Vorwurf, der wenig inhaltliche Substanz besitzt und nur ausdrücken soll, dass der Senat nicht an eigenen Beschlüssen festhalte und sich oft umentscheide. „levitas“ hingegen sagt, der Senat handele leichtsinnig, wenn er jetzt Frieden wolle. Das Stilmittel dient also vornehmlich dazu, einen Begriff hervorzuheben und näher zu beschreiben, indem er in einzelne Aspekte unterteilt wird. Betrachtet man den ersten und dritten Teil der Aufzählung, so fällt auf, dass beide eher einem Pleonasmus entsprechen, da sie nahezu identische Bedeutungen haben. Es liegt die Vermutung nahe, dass die bisher beschriebene Differenzierung von inconstantia und levitas Hauptabsicht Ciceros war und mobilitas angefügt wurde, um die Aufzählung zum Trikolon zu vervollständigen, ohne dabei neue inhaltliche Aspekte des Fehlverhaltens aufzuwerfen.
Ein weiteres Stilmittel findet sich in dem Satz Z. 7-8: eine rhetorische Frage. Mit dieser Frage möchte Cicero eigentlich keine Frage stellen, weil die Antwort klar ist, sondern einen Vorwurf machen, der durch das Stilmittel ganz eindeutig ist, aber weniger provokativ wirkt.
Auch in dem Satz „nec ego pacem nolo, …“ (Z. 9) findet man ein ganz bewusst eingesetztes Stilmittel, nämlich die Litotes. Durch die doppelte Verneinung drückt Cicero aus, dass er sehr wohl, ja sogar unbedingt Frieden möchte. Aber dies gehe ja so nicht, wie der Senat es sich vorstelle.
Im letzten Satz der Rede findet sich eine Alliteration (praesentis … pacem), die zwei parallel aufgebaute Begrifflichkeiten (praesentis pacis und perpetuam pacem) enthält. Trotz des von der Alliteration erzeugten Gleichklangs und der Wiederholung des Wortes pax in unterschiedlichen Formen (Polyptoton) werden die beiden Begriffe durch die Bedeutung von praesentis und perpetuam eher einander gegenüber als nebeneinander gestellt. Die Alliteration stellt gewissermaßen eine Präsentation zweier Möglichkeiten dar, die Cicero den Senatoren zur Auswahl stellt: sofortigen Frieden oder aber dauerhaften. Gleichzeitig wird durch dieses Stilmittel hervorgehoben, dass genau diese Friedensalternativen, die Entscheidung zwischen beiden, Kern und Grund der gesamten Rede Ciceros sind.

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Schülerlösungen zur Aufgabe 4 (Definieren Sie Ciceros Friedensbegriff.):

1. Lösung:
Cicero unterscheidet bei seiner Definition von Frieden zwischen zwei Arten von Frieden. Zum einen haben wir den gegenwärtigen Frieden: pax praesens. Er sei schändlich und dürfe laut Cicero nicht geschlossen werden. Der Grund dafür sei, dass diese Art von Frieden einen Bürgerkrieg auslösen werde, weil Unzufriedenheit und Uneinigkeit herrschen würden, wenn man mit dem Feind Frieden schließe. Cicero hat deshalb eine eigene Definition von dem von ihm für richtig gehaltenen Frieden: pax perpetua.

2. Lösung:
Für Cicero gibt es zwei Friedensbegriffe, perpetua pax und praesens pax. Cicero fühlt sich dem fortdauernden verpflichtet, er versucht alles, um den Staat vor einem Bürgerkrieg zu bewahren. Frieden ist für etwas, was er genießen kann, und das ist nur möglich, wenn er den Frieden mit Antonius ablehnt und sogar gegen ihn Krieg führt. Frieden bedeutet für Cicero auch Freiheit, Freiheit für den Senat, Freiheit für das römische Volk.

3. Lösung:
Cicero sagt, ein echter Friede könne erst dann herrschen, wenn das Potential zum Krieg beseitigt sei, indem Kriege offen ausgetragen worden seien. Denn selbst wenn nach Definition des Senates Frieden herrsche, also keiner den andern offen und tätlich angreife, reicht das Cicero noch nicht aus. Er sagt, dass eine solche „Lösung“ eines Konfliktpotentials zu Hass und Uneinigkeit untereinander führe und nicht dauerhaft, sondern nur eine begrenzte Zeit lang eine Art von Frieden schaffen könne. Hass und kleinere Konflikte würden sich zu einem verdeckten Krieg aufsummieren und nach einer Weile zum Bürgerkrieg führen. Nach Ciceros Definition ist dann von Frieden zu sprechen, wenn es nicht nur keine offenen gewaltsamen Angriffe der Parteien aufeinander gibt, sondern auch Einigkeit und freundliche Gesinnung innerhalb des Volkes herrschen, die sich zur Not auch durch einen zuvor ausgetragenen Krieg erwirken ließen.

 

 

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