Ein Dichter z. Z. des Augustus

 
   

Mit seinem Thema „Liebe und Leidenschaft“ entsprach Ovid nicht der von Kaiser Augustus geforderten altrömischen Sittenstrenge, doch weckt er heute gerade damit - nicht nur unter Jugendlichen - Interesse.

 

 
               

 

 

Leben und Werk des Dichters

 

43 v. Chr.

P. Ovidius Naso wird in Sulmo (Abruzzen) in eine vermögende Ritterfamilie geboren.

 

ca. 30 v. Chr.

Rhetorik- und Jurastudium in Rom; Studienaufenthalt in Athen; Bildungsreisen nach Kleinasien.

 

20 v. Chr.

Ovid soll die Beamtenlaufbahn einschlagen, will jedoch dichten.
In Rom Kontakt mit Vergil, Horaz, Tibull, Catull und Properz.

 

nach 20 n. Chr.

Die Veröffentlichung der Liebesgedichte Amores erregt großes  Aufsehen; dann Veröffentlichung der Heroides (Liebesbriefe mythischer Frauengestalten an ihre Männer oder Geliebten), ferner der Ars amatoria (s.u.).

 

ca. 2 n. Chr.

Mit den Metamorphosen (Verwandlungsgeschichten), einem epischen Gedicht in 15 Büchern, gelingt der große Durchbruch:
Mittelpunkt eines 250 Geschichten umfassenden hexametrischen Gedichtes sind nicht wie bei Homer und Vergil ein einzelner Held oder ganze Völker, sondern viele Einzelgestalten vom Anfang der der Welt über die mythische Zeit bis in die Zeit des Augustus.
Gleichzeitig entstehen die Fasti, ein zweites großes Sammelgedicht in elegischen Distichen. Sie schildern Sagen, Erinnerungen, Bräuche und astronomische Erscheinungen.

 

8 n. Chr.

Augustus verbannt Ovid nach Tomi am Schwarzen Meer (heute Constanza in Rumänien). Die Gründe dieser Verbannung sind letztlich unklar und umstritten. Manche Historiker sehen einen Grund in der gegen die strengen Ehegesetze des Augustus verstoßenden Ars amatoria, andere in einer angeblichen Verwicklung in einen Skandal um die Augustustochter Julia.
Isoliert von der zivilisierten antiken Welt schreibt Ovid die Tristia (Trauerlieder), dann die Epistulae ex Ponto, beide in elegischen Distichen.

 

8 n. Chr.

Ovid stirbt im Exil.

 

Aus der Ars amatoria:

Die Ars amatoria ist ein in Distichen konzipiertes Lehrgedicht über die Liebeskunst und umfasst ins-gesamt drei Bücher. Davon enthalten die ersten beiden Ratschläge für Männer, das dritte für Frauen.

 

Si quis in hoc artem populo non novit amandi
Hoc legat et lecto carmine doctus amet.
Arte citae veloque rates remoque reguntur,
Arte leves currus: arte regendus Amor.
...

  Wenn in diesem Volk jemand die Liebeskunst noch nicht kennt,
Lese er dieses Gedicht und liebe dann als Gebildeter.
Schiffe, von Segel und Ruder getrieben, steuert man mit Kunst,
Mit Kunst lenkt man leichte Gespanne: Mit Kunst muss auch Amor gelenkt werden. ...
 

Dum licet, et loris passim potes ire solutis,
Elige cui dicas «tu mihi sola places».
Haec tibi non tenues veniet delapsa per auras. Quaerenda est oculis apta puella tuis.
Scit bene venator, cervis ubi retia tendat,
Scit bene, qua frendens valle moretur aper;

 

Steht´s dir noch frei und kannst du mit lockeren Zügeln schweifen,
Wähle die aus, der du sagst: „Du allein gefällst mir.“
Aber das Mädchen schwebt nicht zu dir herab durch die Lüfte;
Mit eignen Augen musst du die suchen, die zu dir passt.
Der Jäger weiß genau, wo er für die Hirsche die Netze aufspannt,
Er weiß auch, wo sich im Tal das knirschende Wildschwein aufhält;

 

 

Metrische Analyse der ersten vier Verse

  

 

 

 

Der erste der hier ausgewählten Verse ist ein Hexameter, bestehend aus einem Daktylos, gefolgt von einem zweifachen Wechsel je eines Spondeus und eines Daktylos. Er endet mit einem katalektischen (unvollständigen) Fuß. Eine Zäsur liegt nach der 4. Hebung vor: Hephthemimeres.
Der zweite Vers ist ein Pentameter. Er besteht aus zwei unvollständigen Tripodien. Hier beginnt er mit einem Daktylos, gefolgt von einem Spondeus und dem katalektischen Fuß. Die zweite Tripodie nach der Zäsur besteht aus zwei Daktylen und einem katalektischen Fuß.
Der dritte Vers ist ein Hexameter. Er beginnent mit einem Daktylos. Ihm folgen im zweimaligem Wechsel je ein Spondeus und ein Daktylos. Den Abschluss bildet wieder ein katalektischer Fuß. Auch hier handelt es sich wegen der Zäsur nach der vierten Hebung um eine Hephthemimeres.
Der letzte der ausgewählten Verse ist - wie bei einem Distichon immer - ein Pentameter. Er beginnt mit einem Daktylos, gefolgt von einem Spondeus. Der dritte Fuß ist katalektisch. Die zweite Tripodie nach der Zäsur besteht aus zwei Daktylen und einem katalektischen Fuß.

 

                                        
                                
       

 

 
Aus den Metamorphosen:

Eine der schönsten Verwandlungsgeschichten in den Metamorphosen ist die Geschichte von Pyramus und Thisbe. Bei dieser Geschichte hat Ovid eine alte babylonische Sage von der Liebe des kilikischen Flusses Pyramus zur böotischen Nymphe Thisbe bearbeitet.

Pyramus und Thisbe sind bei Ovid zwei verliebte junge Leute, die trotz des Verbotes ihrer Eltern an ihrer Liebe festhalten und zunächst nur durch einen Riss in der Wand ihrer benachbarten Elternhäuser miteinander kommunizieren können. Bald treffen sie die Entscheidung zu fliehen, um ihre Liebe ausleben zu können. Allerdings endet die Liebesgeschichte tragisch: Pyramus begeht in dem Irrtum Selbstmord, Thisbe sei von einem wilden Löwen getötet worden. Darauf nimmt sich Thisbe beim Anblick ihres sterbenden Geliebten gleichfalls das Leben, um im Tode mit ihm vereint sein zu können.

Nachdem Ovid den Riss in der Wand erwähnt hat, fährt er so fort:

 

 

Id vitium nulli per saecula longa notatum
(quid non sentit amor?) primi vidistis amantes
et vocis fecistis iter; tutaeque per illud
murmure blanditiae minimo transire solebant.

  Dieser Fehler (Riss) war von keinem über lange Jahrhunderte bemerkt worden, ihr, Liebende, habt ihn als erste gesehen (was bemerkt die Liebe nicht?) und habt ihn zum Weg für eure Stimme gemacht; gefahrlos pflegten Schmeicheleien durch jenen (Riss) mit leisem Geflüster hindurchzugehen.

Saepe, ubi constiterant hinc Thisbe, Pyramus illinc,
inque vices fuerat captatus anhelitus oris,
invide“ dicebant „paries, quid amantibus obstas?
quantum erat, ut sineres toto nos corpore iungi,
aut, hoc si nimium est, vel ad oscula danda pateres?
nec sumus ingrati: tibi nos debere fatemur,
quod datus est verbis ad amicas transitus aures.“

 

Oft, sobald hier Thisbe, dort Pyramus standen, erhaschte man abwechselnd den Atem des Mundes, sie sagten immer wieder: „Neidische Wand, was stehst du uns Liebenden im Weg? Wie viel wäre es, wenn du zuließest, dass wir uns mit ganzem Körper verbinden, oder, wenn dies zu viel ist, dass du dich doch wenigstens öffnen würdest, damit wir uns küssen können? Wir sind nicht undankbar: wir geben zu, dir zu verdanken, dass unseren Worten ein Weg zu den geliebten Ohren gewährt wurde.“

Talia diversa nequiquam sede locuti
sub noctem dixere „vale“ partique dedere
oscula quisque suae non perventia contra.

 

Solches sprachen sie vergeblich an getrennten Orten und bei Anbruch der Nacht sagen sie: „Leb´ wohl“ und jeder gab seiner Seite (der Wand) Küsse, die nicht auf die andere Seite kamen.

 

Wie Pyramus und Thisbe mit dieser Situation umgingen, erfahrt ihr hier.

 

              

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